3. Kapitel

Sommer

 

Anna saß mit ihrer besten Freundin auf den kühlen Stufen des Gemeindebaues in dem sie wohnten. Die beiden neunjährigen Mädchen hatten Hefte auf den Knien und malten Zierzeilen. Kleine Blümchen, bunte Striche, Variationen von Mustern und Farben.

Zierzeilen durfte man in der Schule unter jedes Diktat oder andere Schreibübung machen, sozusagen als Abschluss des Geschriebenen.

Zierzeilen zu erfinden war Annas Lieblingsbeschäftigung in diesem Sommer.

Manchmal gingen sie auch auf den Dachboden, was eigentlich nicht erlaubt war.

Heimlich nahmen sie den Schlüssel, achteten darauf, dass niemand sie erwischte und sperrten von innen die Tür zum Dachboden wieder zu.

Im Sommer war es dort oben sehr heiß und oft roch es nach Schwammerln, die dort kleingeschnitten auf ausgebreitetem Zeitungspapier zum trocknen lagen.

Es knisterte und knatterte in allen dunklen Ecken, und Anna und Frieda taten so als ob sie sich fürchteten. Gegenseitig stachelten sie ihre Angst an und hielten sich dabei an den Händen. Die Wäsche, die dort zum trocknen aufgehängt war, wurde in ihrer Fantasie zu Ungeheuern, Gespenstern oder wilden Tieren.

Die Sonnenstrahlen, welche durch das kleine Fenster in der Dachschräge hereinkamen, waren wie Goldfäden zwischen denen winzige Staubkörner tanzten.

Aber dieses heimliche Vergnügen wurde eines Tages jäh beendet.

Plötzlich waren sie nicht mehr allein auf dem Dachboden. Das schaurige Knistern, das ihnen immer so wohlige Schauer bereitete, wurde plötzlich zu einem unheimlichen kichern… Die Wäsche auf der Wäscheleine veränderte sich im Zwielicht des Dachbodens. Das Hemd bekam plötzlich einen Kopf, unter einem Bettbezug schauten Füße hervor und ein Leintuch schien auf die beiden Mädchen zuzuschweben. Unfähig sich zu bewegen, erstarrt vor Schreck standen sie da und starrten auf die unheimlichen Gestalten.

Anna´s Gedanken überschlugen sich. Ihr Verstand sagte ihr, dass es keine Ungeheuer oder Gespenster sein können, das gab es doch nur in ihrer Fantasie. Entschlossen, ihre Angst ignorierend ging sie auf das flatternde Bettuch zu, riss es weg…und dahinter stand Karli, ein 14 jähriger Nachbarjunge. Das zweite Gespenst entpuppte sich als sein Freund Fritzi.

Anna und Frida taten cool, sie wollten sich nicht anmerken lasssen,dass sie sich doch ein wenig gefürchtet hatten. „Ihr Idioten, was macht ihr hier?" schrie sie die beiden an.

„Wir wissen schon lange, dass ihr heimlich immer hier seid, wir wollen mit euch ein Spiel spielen" antwortete Karli.

„Spielen? Mit Euch? Was wollt ihr denn schon mit uns spielen?"

Fritzi hatte inzwischen Frieda beim Handgelenk gepackt und sagte: „ Na, werdet schon sehen, tolles Spiel, wird Euch gefallen".

„Ok, sag schon" erwiderte Frieda, sie versuchte schon die ganze Zeit, sich aus Fritzis Griff zu befreien.

„Wir spielen Doktor, ihr seid die Patienten, wir müssen euch genau untersuchen, und wehe ihr spielt nicht ordentlich mit, dann gibt’s´ Prügel. Ich müsst alles machen was wir euch sagen."

Anna und Frieda sahen sich an. Irgendwie war ihnen dieses Spiel nicht geheuer, aber sie trauten sich nicht, sich zu wehren.

„Legt euch auf die alte Matratze da" sagte Fritzi und schubste die Mädchen in die Ecke.

Als beide da lagen, mussten sie ihre Röcke heben. „Und jetzt beginnt die Untersuchung" sagte Karli. „Unterhosen ausziehen" befahl er.

Die Mädchen rührten sich nicht. „Na los" sagte Karli,

und Fritzi meinte: "Macht schon, die Untersuchung tut nicht weh, ehrlich".

Frieda wollte aufspringen, doch Fritzi packte sie, drückte sie wieder auf die Matratze und hielt sie fest. "Wenn du jetzt nicht machst was ich sage, dann setzt es was" sagte er zu ihr.

"Los Unterhose ausziehen". Weinend machte Frieda was er verlangte, er war ja viel stärker als sie. Sie zog ihren Slip aus. Fritzi hatte plötzlich eine Taschenlampe in der Hand und kniete sich vor Frieda, die ihre Schenkel ganz fest aneinander presste. „So, jetzt die Beine auseinander sonst kann ich dich nicht untersuchen." Karli hockte sich daneben, gespannt vor Aufregung. Das war Annas Chance. Sie nützte den Augenblick und spang auf.

Karli versuchte, Anna zu packen, sie wehrte sich und begann zu schreien. Plötzlich, wurde die Dachbodentür geöffnet und Frau Pfeifer, die im zweiten Stock wohnte, kam mit einem Wäschekorb herein.

Entgeistert starrte sie auf die Szene, die sich ihr bot. „ Ihr Fratzen, was macht ihr hier, so eine Schweinerei, na wartet, das wird Folgen haben!"

Die beiden Buben sprangen auf, flink stürmten sie an Frau Pfeifer vorbei und entwischten durch die offene Tür.

Anna und Frieda hockten weinend auf der Matratze.

Sie schämten sich....obwohl sie wussten, dass nicht SIE etwas böses getan hatten, sondern die Buben, schämten sie sich.

Frau Pfeifer würde dafür sorgen, dass es alle erfuhren, wer würde ihnen glauben? Instinktiv erkannten sie, dass sie, als Mädchen, die geringeren Chancen hatten. Es war eine Gewissheit, die ihnen und all den Mädchen ihrer Generation praktisch in die Wiege gelegt wurde. Wird ein Mädchen mit einem Jungen erwischt, ist sie ein "Flitscherl" so nannte man es damals.  Jungen, Männer hatten keinen schlechten Ruf, Mädchen jedoch sehr schnell.